Vom Kartätschenprinz zum Kaiser

Wilhelm I.

Hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen, Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen, späterer König Wilhelm I. und noch später Deutscher Kaiser Wilhelm I., hätte einen wenig rühmlichen Eintrag in den Geschichtsbüchern als „Kartätschenprinz“ bekommen. Der zweite Sohn von König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise hatte lange Zeit wenig Aussicht auf den Königsthron, geschweige denn die Kaiserkrone. Und doch war er bei seinem Tod im hohen Alter von 90 Jahren so beliebt, dass der Volksmund schnell den Richard Henrions „Fehrbelliner Reitermarsch“ von 1893 auf die Verse umdichtete „Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben, aber nur den mit dem Bart, mit dem langen Bart“. Und zu hunderten schossen Denkmäler aus dem Boden, auf dem Kyffhäuser, am Deutschen Eck, in Berlin und das größte von allen an der Porta Westfalica.

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Foto: gemeinfrei

Vom Kartätschenprinz …

Geboren am 22. März 1797 in Berlin, wurde der Zweitgeborene soldatisch ausgebildet, vielleicht der Schlüssel zu späteren militärischen Erfolgen, wohl aber auch der Keim zur Pathogenese des Selbstverständnisses des zweiten deutschen Kaiserreichs. Als Offizier nahm er an den Kriegen gegen Napoleon teil und erklomm die militärische Karriereleiter bis hinauf zum Generaloberst.

Prinz von Preußen wurde Wilhelm, als sein kinderloser älterer Bruder nach dem Tod des Vaters 1840 König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) wurde. Die März-Revolution 1848 wollte Wilhelm militärisch niederschlagen – mit fraglichen Erfolgsaussichten. Das trug ihm den zweifelhaften Ruf des Kartätschenprinzen ein. Um ihn vor dem Zorn der Massen zu schützen und Schlimmeres zu verhüten, schickte ihn der Bruder eiligst nach London. Schon im Juni 1848 zurückgekehrt, schlug Wilhelm an der Spitze eines Bundesheeres und preußischer Truppen den Aufstand in Baden und der Pfalz nieder.

… zur Kultfigur

Überraschenderweise wurde er in seiner Zeit als Gouverneur des Rheinlandes und von Westfalen, mit Sitz in Koblenz, Träger liberaler Hoffnungen, als er sich, unter dem Einfluss seiner Frau Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach (1811-1890) und zur konstitutionellen Monarchie bekennend, gegen den reaktionären Kurs seines Bruders in Berlin wandte. Dessen schwere Erkrankung und mehrere Schlaganfälle zwangen ihn 1858 zur Rückkehr in die Hauptstadt und zur Übernahme der Regierungsgeschäfte als Regent. Nach dem Tode Friedrich Wilhelms IV. wurde Wilhelm, der zunächst liberal-nationale Minister berufen und den Kurs der Neuen Ära eingeleitet hatte, selbst König. Seine Absicht einer Heeresreform führte jedoch zum Verfassungsstreit mit den Liberalen und zur Berufung Otto von Bismarcks (1815-1898) als Kanzler. Die Kriege gegen Dänemark 1864 und gegen Österreich-Ungarn, Bayern, Sachsen, Hannover und andere Verbündete 1866 zeigten die neue Stärke der preußischen Armee und vergrößerten das Territorium des Königreichs beträchtlich. Während des Krieges von 1870/71 gegen Frankreich rief Bismarck den preußischen König gegen dessen Widerstand am 18. Januar im Spiegelsaal in Versailles zum Deutschen Kaiser aus.

Von Museen Nord / Bismarck Museum: Picture, Gemeinfrei

Konflikte zwischen Kaiser und Kanzler gab es ständig. Letztlich drückte Bismarck, mehrfach mit Rücktritt drohend, der Epoche und der politischen Ausrichtung stärker seinen Stempel auf. Doch die Popularität Wilhelms I. wuchs im Alter noch. Dazu trugen auch fünf Attentate bei, von denen er beim vierten im Juni 1878, dem Nobiling-Attentat, schwer verwundet wurde – für Bismarck ein Vorwand zum Verbot der Sozialdemokratischen Partei – obwohl der vermutlich geistesgestörte Täter kein politisches Motiv hatte.

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