Schuften für die Nazis im Jakobsberg

Die Nazi-Stollen

Die Besucher sind beeindruckt, wenn sie das Innere des Jakobsberges an der Porta Westfalica betreten. Mehr als 20 Meter ragt die Höhle hinter dem Eingang auf der östlichen Weserseite in die Höhe, gleich einer unterirdischen Kathedrale. Hier wurde der Sandstein abgebaut, der auch für das Kaiser-Wilhelm-Denkmal verwendet wurde. Doch Gästeführer Thorsten Fischer sagt: „Willkommen in der Hölle 1.“

Und die Hölle war das Leben und Arbeiten an dieser Stelle gegen Ende des Zweiten Weltkrieges für mehr als 1500 KZ-Häftlinge aus ganz Europa. Vom Frühjahr 1944 bis zum Vormarsch der Alliierten Anfang April 1945 schufteten hier Russen, Polen, Italiener, Franzosen, Belgier, Niederländer und Dänen auf Befehl der SS unerbittlich, zwölf Stunden am Tag. Für viele war es der Tod.

Anzeige

400 bis 500 starben – hier oder im „Kaiserhof“, dem einstigen Nobelhotel auf der anderen Weserseite. In dessen einstigen Festsaal waren die Häftlinge, streng bewacht und unter erbärmlichsten hygienischen Bedingungen, zusammengepfercht. Es gab sogar Hinrichtungen vor versammelter Mannschaft.

Hölle 1, diesen Namen gaben die Häftlinge dem Komplex im Jakobsberg. „Dachs 1“ hieß er im Nazi-Jargon, Tarnname für die Verlagerung kriegswichtiger Rüstungsproduktion unter Tage, um vor den alliierten Bombardements auszuweichen. Nach ersten Plänen vom März 1944 sollte in Porta die Produktion von Jagdfliegern aufgebaut werden. Doch kurz darauf wurde nach der Bombardierung der Raffinerie in Hannover die Produktion von Treibstoff und Schmieröl wichtig für den Betrieb von Werkzeugmaschinen in der Rüstungsproduktion vorrangig.

„Die Häftlinge trugen meist nur Holzschuhe“, sagt Fischer. Dazu grobe, verschlissene Häftlingskleidung, unzureichend für die Umgebung. Und noch schlechter war das Essen. „4800 Kilokalorien bräuchte der Körper täglich bei schwerer Arbeit. 3600 gestand die SS zu – auf dem Papier“, sagt Fischer. Tatsächlich gab es gerade mal 1200 Kilokalorien, meist in Form von Kohl- und Gemüsesuppe, kaum Fleisch und Eiweiß. Die Folge war Auszehrung. Einer der Häftlinge, der dänische Medizinstudent Jørgen Kieler, hat die Abfolge des durch das Hungersyndrom ausgelösten körperlichen Verfalls mit Diarrhoe und Ruhr später als Arzt analysiert und wissenschaftlich beschrieben. Vernichtung durch Arbeit – und Mangelernährung.

Um die vorhandenen Stollen auf 150 Meter zu verlängern und zu erweitern, mussten 60.000 Kubikmeter Gestein gesprengt und aus dem Berg geschafft werden. Letzteres war Aufgabe der SS-Sklaven – mit Schaufeln, Handarbeit, Schubkarren und Loren. Anschließend mussten sie Baumaterial in die Stollen bringen. Dort mauerten deutsche Maurer riesige Tanks, um die späteren Schmierölerzeugnisse aufzunehmen. Keiner der Tanks hat auch nur einen einzigen Liter Öl gesehen. Fünf Wochen vor der geplanten Inbetriebnahme im Mai 1945 waren zwar viele Bereiche zu 90 Prozent betriebsbereit und modernste Destillationsanlagen installiert, aber Anfang April überschritten die Alliierten die Weser.

Mehr entdecken